Um im Umgang mit Krisen und Katastrophen schnell und effizient handeln zu können, ist ein agiles und dynamisches Krisenmanagement elementar. Dieses umfasst u. a. Angaben zur Bevölkerung, die in Zusammenhang mit der Betroffenheit oder Bewältigung stehen können. Vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wurde dafür das Labeled Bevölkerungsverhalten erarbeitet, das emotionale, kognitive, motivationale und soziale Einflussfaktoren auf das Verhalten sowie das Verhalten selbst erfassen und beschreiben soll und auf dieser Grundlage Handlungshinweise ermöglicht, die ein erfolgreiches Krisenmanagement unterstützen (Schopp, 2023).
Die Ausrichtung dieses Lagebilds ist häufig gesamtstaatlich, auf Bundes- oder Länderebene ausgerichtet und erfüllt damit häufig Funktionen der Information und des Monitorings und ist daher eher passiv. Zentrales Wissen über die Zusammensetzung der Bevölkerung (z. B. Altersgruppen, Bildung, Sprachkenntnisse) in Zusammenhang mit den krisenhaften Ereignissen fließt dabei in die Konzeption ein. Das Lagebild soll somit Auskunft über Lage und Status der Bevölkerung, ihre Bedarfe und Bedürfnisse, Ressourcen und Resilienzpotenziale sowie das konkrete Verhalten in Krisensituationen geben (Mähler, 2023). Das Forschungsprojekt „Das Lagebild Bevölkerungsverhalten in der Stabsarbeit“ (LaBS), das vom BBK gefördert wurde, hat sich u. a. mit der Definition der Begriffe Lagebild und relevanter Indikatoren befasst (Mähler, 2023).
Deutlich dynamischer als das Lagebild Bevölkerungsverhalten, da vorwiegend operativ-taktisch und kleinräumiger (z. B. auf kommunaler Ebene) ist das Psychosoziale Lagebild zu sehen, das daher vom Lagebild Bevölkerungsverhalten abzugrenzen ist (Schopp,2023). Dieses Lagebild ist vor allem für die Gestaltung und Steuerung der Arbeit in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) wichtig, da durch entsprechende Leitung bzw. Fachberatung PSNV anhand des Lagebilds festgelegt werden kann,
Auf diese Weise kann der gezielte Einsatz von Fachkräften der PSNV gesteuert werden.
Entsprechend sind für das psychosoziale Lagebild vor allem solche Informationen relevant, die Auskunft über psychologische oder soziale Prozesse geben können, um eine erfolgreiche Bewältigung zu unterstützen. Dies ist breit angelegt und umfasst u. a. Informationen auf Ebene der Strukturen und Rahmenbedingungen, der Reaktionen, Bedarfe und Ressourcen der Bevölkerung und der Rezeption und Kommunikation im öffentlichen Raum. Informationen zu
betreffen Rahmenbedingungen, die etwa durch eine Krise (z. B. ein Unwetter) betroffen sein können und im Laufe der Krise für die Bevölkerung relevant werden. So ist etwa eine fortlaufende Information der Bevölkerung wichtig, um entsprechende Bedürfnisse zu erfüllen, Unsicherheit und damit verbundene Angst zu reduzieren und klare Handlungsempfehlungen mitteilen zu können. Zur Umsetzung muss allerdings sichergestellt werden, dass fortlaufend Kommunikation möglich ist (z. B. in Online-Medien) und eine hohe Reichweite besteht.
Die Reaktionen, Bedarfe und Ressourcen der Bevölkerung können durch eine Vielzahl an Datenquellen ermittelt werden. Eine Analyse der Fachliteratur, epidemiologischer Studien, Statistiken und Bevölkerungsbefragungen können dafür eine Basis sein. Gleichsam fließen Analysen der Strukturen, des Einsatzgeschehens und der Rückmeldungen aus der Einsatzsituation ein, da sie für das Geschehen relevante, unmittelbare Einblicke bieten. Ergänzt werden diese durch eine Beobachtung und Analyse der Kommunikation, z. B. in sozialen Medien und ein Online-Monitoring. Für diese Aufgaben kann ein VOST beauftragt und eingebunden werden. Dieses kann, basierend auf dem Einsatzauftrag und der Zielausrichtung, für das Monitoring relevante Kanäle, Kommunikationsformen und -muster identifizieren und Analysetechniken anwenden, um die Kommunikation besser verstehen zu können. Dies kann dann auch die Grundlage für ein Verständnis der Inhalte und Verläufe durch Krisen- und Führungsstäbe sowie einer Integration in das Lagebild bilden. Welche Kommunikationskanäle und -medien dabei in den Blick genommen werden sollen, auf welche Aspekte besonders zu achten ist, etwa mit Blick auf Bedarfe der Bevölkerung, ist mit dem Auftraggeber zu klären. Neben den Belastungen der Bevölkerung sollen auch Ressourcen im Blick behalten werden, etwa Potenziale der Spontanhilfe und Unterstützung, die entsprechend koordiniert und eingebunden werden können, um Krisenbewältigung zu unterstützen. Gleichsam ist auch der Schutz der Spontanhelfenden, z. B. vor körperlichen oder psychischen Folgeschäden wichtig, sodass Hilfe- und Schutzpotenziale abgewogen werden müssen.
Der dritte Teil des Lagebilds stellt die Rezeptions- und Analyse der Kommunikation dar, die über die zuvor besprochene Bevölkerung hinausgeht. Dazu zählt etwa die Medienanalyse von Nachrichtensendungen oder Berichten über eine Lage und die Lageentwicklung sowie die Rezeption durch die Bevölkerung. Dies dient in der Regel ebenfalls der Identifikation der Bedarfe und Ressourcen der Bevölkerung und kann für das Krisenmanagement wichtig sein, z. B. um Fehlinformationen aufzugreifen und auszuräumen, Berichte zu verbreiten oder zu ergänzen. Da dies aber eine mediale Aufbereitung der Lage voraussetzt, ist sie zeitlich der unmittelbaren Analyse der Reaktionen der Bevölkerung nachgelagert.
Aus diesen Informationen kann im Psychosozialen Lagebild dann eine Gesamtschau erstellt werden, die ein aktuelles Bild der Bevölkerung zeichnet, akute und antizipierte Reaktionen beinhaltet und entsprechend Handlungsempfehlungen ermöglicht, um z. B. kurzfristig Unsicherheit zu reduzieren (z. B. Informationen geben), mittelfristig Handlungsfähigkeit zu stärken (z. B. Koordination der Spontanhilfe) und langfristig Resilienz zu fördern (z. B. Sozialkapital in Nachbarschaften aktivieren) (Karutz et al., 2022). Wie genau diese Merkmale und Handlungsempfehlungen für das Lagebild auf der Basis der Daten aus sozialen Medien aussehen sollten, wird im Projekt „Systematische Analyse der Kommunikation in sozialen Medien zur Anfertigung Psychosozialer Lagebilder in Krisen und Katastrophen“ (#sosmap) erforscht, das von der Bergischen Universität Wuppertal geleitet wird. Das Projekt wird vom BBK gefördert und in Zusammenarbeit mit der Hochschule des Bundes und der Universität Greifswald durchgeführt. Neben der Analyse sozialer Medien soll auch erprobt werden, wie Arbeitsergebnisse von VOST für die Stabsarbeit zielgerichtet kommuniziert und so gestaltet werden können, dass sie in verschiedenen Situationen gut umsetzbar sind.